Praktika

" Ich bedanke mich von ganzem Herzen für die Zeit und meine Chance, dieses Praktikum zu absolvieren. Ich habe nicht nur tolle Erfahrungen gemacht, sondern auch tolle Menschen fürs Leben kennengelernt."

(Anastasia M., Februar-April 2016, Studentin der Sozialen Arbeit)

"Vielen Dank, dass du mir die drei lehrreichsten Monate ermöglicht hast." (Regina W., Masterstudiengang Soziale Arbeit, Sept.-Nov.2015)

Auf dieser Seite finden Sie Informationen über die Möglichkeit, ein  soziales Praktikum bei unserer Kooperationspartnerin Swetlana Starostina in Pereslawl-Salesskij zu absolvieren. Darüber hinaus veröffentlichen wir Erfahrungsberichte/ Rückmeldungen von Praktikanten/Praktikantinnen, um Ihnen einen ganz persönlichen Eindruck von den Projekten und den Menschen zu vermitteln. Für alle zukünftigen Praktikanten und Praktikantinnen, die sich für unsere Arbeit  interessieren und die laufenden Projekte kennenlernen möchten,  haben unsere Erfahrungen  gezeigt:

Ohne Russischkenntnisse, und seien sie auch noch so gering, ist ein soziales Praktikum in Russland nicht zu empfehlen!


Die Kontaktaufnahme für Menschen, die an einem Praktikum interessiert sind, erfolgt  am besten telefonisch oder per E-mail an Dorothea Volkert.
Telefon: 07263 - 2605                                                                           
E-mail: h-d-volkert@t-online.de

 

Praktikumsberichte

Andrea S. mit Jana

     

Im Sommer 2004 konnten wir zum ersten Mal eine Praktikantin in Rogachevo begrüßen:

Andrea Seufert aus Beucha, Studentin der Sozialpädagogik


Andrea kümmerte sich 3 Monate lang liebevoll um die Phönix-Kinder in Rogachevo. Sie sind ihr ans Herz gewachsen und der Abschied im September fiel beiden Seiten nicht leicht.
Andrea spricht Russisch und  hatte  außerdem schon als 16-Jährige während der Schulzeit in den Sommerferien Erfahrungen in einem Kinderheim in Sibirien gesammelt.
Einen Monat, nachdem Andrea sich langsam wieder an das Leben und ihre Arbeit in einem Kinderheim in Heidenheim gewöhnt hatte, schrieb sie einen Brief an Dorothea Volkert, in dem sie dankbar zurückblickt auf ihre Zeit in Rogatschowo:
 
"Trotz der zahlreichen Mathe- und Geographiestunden, die die Kinder bei mir hatten, habe ich doch das Gefühl, die eigentliche Schülerin gewesen zu sein. In einer Zeit, in der es schwer ist, sowohl Hoffnung, Vertrauen, Liebe als auch vor allem das Lachen nicht zu verlieren, können wir gerade von Kindern lernen. Von Kindern, die es in ihrem jungen Leben selten leicht hatten, die schwere Rucksäcke mit sich tragen- und tragen werden, ihr Leben lang, und die trotzdem lachen, auf Bäume klettern, sich dreckig machen, neugierig sind und Fragen stellen.
    Das Lachen behalten, wieder neu vertrauen lernen und den Kopf nicht hängen zu lassen, sind wohl die wichtigsten Lektionen für Erwachsene. Und vor allem immer wachsam zu sein für die kleinen Begegnungen mit Menschen, die unser Leben doch so vielfältig, interessant und l(i)ebenswert machen."

 
Statt eines Sach- oder Erfahrungsberichtes zieht es Andrea vor, mit kleinen Geschichten einen Einblick in ihre Arbeit vor Ort zu geben. Sie schreibt:


"begegnung: die suppenküche am kursker bahnhof in moskau. ein mann mittleren alters kommt auf mich zu. er sieht gut aus, gar nicht wie ein "bomsch", ein obdachloser. er hat längeres schwarzes haar, trägt einen anzug und der ist nur bei genauerem hinsehen angeschmuddelt. er hat ein südländisches aussehen, dunkle, wache augen. seinen namen kenne ich nicht. er reicht mir die hand, sehr  ungewöhnlich. ich ergreife sie, er gibt mir einen handkuss. fragt mich, was ich hier tue. woher ich komme. wie ich heiße. wo ich wohne. er sieht den leninpin an meiner jacke. beginnt, mir eine geschichte zu erzählen, über lenin, den fuchs: wie sich löwe und wolf über eine fette beute streiten, die sich am ende der fuchs unter den nagel reißt. "so war er, lenin." sagt er. ich bedanke mich für diese anekdote. da lächelt er. sagt, dass der djeduschka da oben alles sieht und sich bei mir bedanken wird. irgendwann. dass er mir alles das wünscht, was ich in meinem leben möchte und  brauche. und dass der großvater da oben mich sieht. und danke sagt. er küsst mir die hand zum abschied, nimmt seinen brei, das stück brot und den plastiklöffel, geht. seinen namen kenne ich nicht."
    "kommunikation. darüber sollten sich viele menschen weniger aber noch mehr menschen mehr gedanken machen. nikita sagte: als wir andrea kennen lernten, haben wir englisch und russisch in einem  satz gesprochen. meistens im infinitiv. ein wort ans andere gereiht und letzten endes irgendwie begriffen, was der andere zu sagen versuchte."
    "fantasie. serjoscha wird mir sein lieblingsspielzeug zeigen: den computer. kramt und kramt in einer schublade. ich bin gespannt. sehe, wie mir der sechsjährige eine pralinenschachtel - leer-  präsentiert. klappt die schachtel auf, stellt den deckel senkrecht in den boden, dreht die plastik, in der die pralinen sich befanden, um, und beginnt zu tippen....."
    "es hat den ganzen tag schon geregnet. maxim kommt heim vom fußball oder äpfelernten. zieht die schuhe aus, samt durchnässter socken.  hängt diese auf. geht ins wohnzimmer, das von dem zweiten der drei räume nur durch einen vorhang getrennt ist. guckt sich um. reibt sich einen - bestimmt- kalten fuß, der ihn auf eine idee bringt: sagt er zu lena, die er seit 4 jahren kennt,    .lautet die kühle, desinteressierte antwort. er dreht sich um, kurze enttäuschung in den augen. läuft zurück in die küche, bleibt an der tür stehen, nimmt sich einen apfel, zieht im flur die schuhe an und geht wieder raus auf die straße, seine nassen socken hängen noch."

Praktikum im Phönix - Kinderhaus
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Anna Freier -(Praktikum vom
01.02.- 28.02.2009 im Phönix-Kinderhaus) berichtet:

 

"Das Praktikum im Ausland habe ich aus persönlichen Gründen gemacht. Eine sehr sinnvolle Tätigkeit erschien mir dabei die Arbeit mit Kindern. Da ich in Russland geboren wurde, aber 15 Jahre kein  Russisch mehr gesprochen habe, suchte ich mir etwas dort aus.  Wenn ich jetzt an das Phönix-Projekt in Rogatschewo zurückdenke, dann immer mit einem Lächeln. Das erste, was mir an den Kindern in Moskau auffiel war, dass sie sehr glückliche Kinder sind. An    ihrem Lachen konnte man die Unbefangenheit und Offenheit heraus hören.
    Aber das ist nicht alles, was Kinder in ihrem Leben brauchen. Maxim gibt ihnen nicht nur eine Familie sondern auch das Vorbild, das man mit viel Arbeit und Verstand etwas im Leben erreichen kann. Aber das ist nicht alles, was man in Russland braucht. Was mir in Moskau besonders aufgefallen war, dass man da nicht die Freiheiten hat die wir in Deutschland genießen. In Deutschland kann man  sich auch aus den unteren Schichten heraufarbeiten. In Russland jedoch schien mir das unmöglich. Deswegen ist es so wichtig, den Kinder ein einigermaßen privilegiertes Zuhause zu geben. Denn nur so haben sie die Möglichkeit eine vernünftige Ausbildung in ihrem Leben zu machen.
    Was mir besonders aus dieser Zeit im Gedächtnis blieb, ist die Art und Weise, wie Maxim auf die Kinder individuell eingegangen ist. Ob es um Diskussionen mit den älteren Kindern, Mathe-Erklärungen oder um das Mitsingen von Zeichentrickfilm-Songs ging, alles machte er mit Herz. Auch mir gegenüber war er sehr offen und hatte sehr viel Interesse an mir und meiner „deutschen
 Cola-Bier-Mischung“. Auch seine Frau Tamara beschäftigte sich gerne mit mir und brachte mir mit viel Geduld das Nähen an der Maschine bei. In dieser Zeit konnte ich immer alle meine bisherigen Eindrücke und Beobachtungen mit ihr besprechen.
    Aber was ist mir aus Moskau fest geblieben? Zuerst natürlich das Nähen, was mir im praktischen Leben helfen wird. Dann die zurückeroberten Sprachkenntnisse und die lustigen Missverständnisse, welche während des Lernprozesses entstanden sind. All die Gastfreundlichkeit und Ehrlichkeit, der ich begegnet bin, bleiben für mich ein Vorbild für meinen persönlichen Lebensweg genauso wie die Dankbarkeit der Menschen für so viele kleine Dinge. Spezielle Erinnerungen von Augenblicken und das Lachen der Kinder bleiben für immer in meinem Herzen.
    Maxim und all die anderen haben etwas so Tolles und Wunderbares in Moskau erschaffen und bemühen sich weiterhin um soziale Projekte (wie z.B. eine Suppenküche), dass sie es von Herzen verdienen, unterstützt zu werden, damit ihre Arbeit weiterhin bestehen kann."

Jessic Tidde aus Mülheim-Kärlich arbeitete vom 11.06.-13.07. 2013 im Phönix-Kinderhaus als Praktikantin.

Foto mit Uljana, Sascha und Jana

 

Über ihre Erfahrungen in Rogatchevo schreibt Jessica:

 

" Meine Familie kommt aus Russland und auch wenn ich hier in Deutschland geboren wurde, so bin ich doch zwischen beiden Kulturen aufgewachsen. Meine Wurzeln und ein Teil meiner Geschichte liegen irgendwie in Russland, weshalb ich die freie Zeit zwischen Abi und Studium nutzen wollte, um das Land und seine Leute besser kennenzulernen. So bin ich bei meiner Suche nach einem sozialen Praktikum in Russland auf die Seite der Deutsch-Russischen Gesellschaft Kraichgau gestoßen- und war sehr froh darüber! Es war eine erfahrungsreiche, teils traurige und schöne Zeit, die wertvolle Einblicke zugelassen hat und mich einige scheinbar selbstverständliche Dinge sehr zu schätzen gelehrt hat. Zur Zeit meiner Praktikumstätigkeit lebten im Phönix-Kinderhaus Jana, Sascha, Uljana, Hausmutter Lena, Andrej und Serjoscha mit Maxim und Tamara.

Im Alltag habe ich früh gemerkt, wie wertvoll das Phönix-Kinderhaus ist und wie dankbar die Kinder und Jugendlichen sind. Schon früh übernehmen sie Aufgaben, Verantwortung und helfen überall mit. Es wird sich gemeinsam mit Lena um den Haushalt und die viele Gartenarbeit, die vor allem im Sommer anfällt, gekümmert. Auch in der Rolle der großen Schwestern gehen Sascha und Jana vollkommen auf. Ob es darum geht, Uljana eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, ihr das Radfahren beizubringen oder aber auch sich um die kleinen Kinder von Maxims Schwester zu kümmern, die gerne zu Besuch kommen. Es war schön zu sehen, wie toll sie mit dem Baby und der Einjährigen umgehen können und von ihnen geliebt werden. Wie in einer gewöhnlichen Familie schenken sie Liebe, streiten und lachen gemeinsam, helfen und necken einander.

Was mir besonders in Erinnerung bleiben wird sind sehr persönliche Gespräche mit jedem einzelnen Kind und Jugendlichen, wenn sie von Träumen, Hoffnungen und Ängsten geredet haben. Vor allem, wenn sie von früher erzählt haben, da war mal das Funkeln in den Augen, mal ein tiefer Schmerz zu sehen.

Nie vergessen werde ich außerdem, wie wir an heißen Nachmittagen im Regen getanzt haben und spazieren gegangen sind, bis wir völlig durchnässt waren. Dann kamen wir ins Haus und der Tschainik hat schon gepfiffen, in dem Lena bereits Wasser für uns aufgesetzt hat. Gemeinsam haben wir dann am Tisch gesessen, Tee getrunken, gelacht und eine von vielen Köstlichkeiten gegessen, die Lena zubereitet hat. Jeden Tag kocht sie mit viel Liebe und scheut absolut keine Mühen. Sie ist das absolute Herzstück der Küche und mit viel Geschick zaubert sie immer etwas Leckeres. Die Kinder, Jugendlichen und auch Lena haben ein schweres Schicksal. Oft vergisst man das, wenn alles so unbeschwert zu sein scheint, sie beschweren sich nicht und sind einfach zufrieden mit dem, was sie haben. Von diesen Menschen kann man viel mitnehmen und sich so mancher ein Beispiel nehmen. Es ist wirklich toll, was im Phönix-Kinderhaus entstanden ist!"

Regina Wilhelm aus Köln, Masterstudentin der Sozialen Arbeit, unterstützte vom 06.09.-06.12. 2015 den Sozialfonds "Sodjestwije" in Pereslawl-Salesskij.

Auf dem Foto geht Regina mit der blinden Bewohnerin Paulina auf dem Außengelände des Altenheims in Iwanowskoje spazieren. 

 

Regina  berichtet über ihr Praktikum:

"Erster Monat: September 2015

Am 6. September 2015 ist es endlich soweit. Die Idee, Praktikumserfahrungen im Ausland machen zu können, wurde durch meinen Flug nach Pereslawl-Salesskij an diesem Tag in die Realität umgesetzt. Mit gemischten Gefühlen sitze ich im Flieger und mache mir Gedanken, was mich alles in den nächsten drei Monaten erwarten könnte. Beweggründe für mein Praktikum war die Sammlung weiterer Erfahrungen im sozialen Bereich und natürlich mehr Wissen über die Geschichte und Kultur Russlands erhalten zu können. Im Rahmen der Tätigkeit des Wohltätigkeitsfonds „Sodjestwije“ werde ich in enger Zusammenarbeit und Unterstützung durch die Leiterin des Fonds Swetlana Starostina einen Einblick in unterschiedliche Handlungsfelder der Sozialen Arbeit Russlands erhalten und in verschiedenen Einrichtungen mitarbeiten. Da ich durch mein Studium der Sozialen Arbeit und etlichen nebenberuflicher Tätigkeiten innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe bereits Erfahrungen sammeln konnte, bin ich eigentlich recht zuversichtlich, dass ich das Praktikum meistern werde. Allerdings darf nicht unterschätzt werden, dass abgesehen von sprachlichen Barrieren das russische Gesundheits- und Sozialsystem viele Herausforderungen und Hürden mit sich bringt.

 

Auf dem Weg vom Flughafen in Moskau nach Pereslawl erzählte mir die Mitarbeiterin des Wohltätigkeitsfondes Maja bereits die wichtigsten Dinge, die ich über Pereslawl und den Fond wissen muss. Da es unterwegs bereits dunkel geworden ist, habe ich an meinem ersten Tag nicht wirklich viel von der Stadt gesehen. Dafür wurde ich aber von Swetlana liebevoll in ihrer Wohnung begrüßt und mit einem reichlich gedeckten Tisch erwartet. Dank dem herzlichen Empfang durch Svetlana Starostina fühlte ich mich direkt wohl und willkommen geheißen. Allerdings hatten wir nicht allzu viel Zeit zum Kennenlernen, da bereits die kommende Tage besprochen und geplant werden mussten. Ich nahm nämlich bereits an den darauffolgenden vier Tagen an einem Seminar in Jaroslawl zur Thematik: „ Waisenkinder“ teil. Ich war anfangs etwas verunsichert, ob ich aufgrund meiner eher mangelhaften Russischkenntnisse den Inhalten des Seminars folgen kann. Allerdings verstand ich mehr als erwartet. Trotzdem muss ich gestehen, dass für mich die ersten Tage alles andere als einfach waren und ich noch ein wenig Zeit brauchte, um mich daran zu gewöhnen, dass ich jetzt für die nächsten drei Monate hier leben werde. Bereits nach meiner ersten Woche wurde jedoch deutlich, dass sich in Bezug auf die sozialen Problemfelder Parallelen zu Deutschland aufzeigen lassen. Beispielsweise wurde auch in Russland statistisch bewiesen, dass circa 80 Prozent der Kinder als „soziale Waisen“ zu benennen sind. Allerdings erhielt ich den Eindruck, dass In Russland innerhalb dieses Handlungsfeldes weniger die Unterstützung der Familie der jeweiligen Kinder im Fokus steht, sondern die Hilfe eher als existentiell zu bezeichnen ist. Im Vordergrund steht eher Verminderung und Vorbeugung von Armut, Obdachlosigkeit und Suchtproblematiken.

Nach den Tagen in Jaroslawl bekam ich endlich meine Wohnung gezeigt, in der ich die nächste Zeit leben werde. Es handelt sich hierbei um eine sehr einfach eingerichtete Zwei-Zimmerwohnung, die sich eher am Stadtrand befindet. Da ich bisher nie alleine wohnte, ist auch diese Erfahrung etwas komplett Neues für mich.

An meinem ersten freien Sonntag nutzte ich das wunderbare Wetter aus und machte einen Spaziergang durch die Stadt und zum Pleschtschejewo-See. Schon zu diesem Zeitpunkt habe ich mich in die kleine, aber wunderschöne altrussische Stadt Pereslawl-Salesskij verliebt und bin gespannt welche tollen Plätze es hier noch zu entdecken gibt.

Während meines ersten Monats in Pereslawl-Salesskij habe ich neben dem Wohltätigkeitsfond Sodjestwije einige soziale Einrichtungen wie Schulen, Internate, Kinderheime, das Sozialcenter „Nadeschda“ („Hoffnung“), und das im Jahr 2013 gegründete Zentrum für alte und kranke Menschen in Iwanowskoje besucht. Weiterhin lernte ich viele Familien kennen, die durch den Wohltätigkeitsfond unterstützt werden. Innerhalb des ersten Monats war es mir wichtig, einen Eindruck über unterschiedliche Arbeitsbereiche der Sozialen Arbeit erhalten zu können, daher arbeitete ich jeweils eine Woche lang in dem Zentrum für kranke und alte Menschen in Iwanowskoje und in einem Internat mit dem Förderschwerpunkt geistige und körperliche Behinderung mit. Auch wenn ich mich in diesen Einrichtungen nur für einige Tage aufhielt, konnte ich sehr viele verschiedene Eindrücke sammeln. Beispielsweise wurde das Zentrum in Iwanowskoje zwar für das beste im Gebiet Jarosawl ausgezeichnet, jedoch habe ich das Gefühl, dass sich neben dem leiblichen und gesundheitlichen Wohl wenig mit den Bewohnern beschäftigt wird. Begründen lässt sich dies mit dem Zeitmangel der Mitarbeiter, aber dennoch bin ich der Meinung, dass die Bewohner während ihres Aufenthaltes besser auf ihr Leben nach dem Aufenthalt in dem Zentrum vorbereitet werden könnten. Auch in der Förderschule vermisste ich oft das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Meinen ersten Eindrücken zu Folge wird für alte oder behinderte Menschen lieber so viel wie möglich übernommen, als diese Menschen dabei zu unterstützen, ihre Ressourcen zu nutzen.

 

Nebenbei übernahm ich die Betreuung von zwei problembelasteten Familien und besuchte diese regelmäßig zu Hause. Weiterhin begleitete ich Swetlana Starostina auf wichtigen Terminen im Rahmen ihrer Tätigkeit als Leiterin des Wohltätigkeitsfonds, als auch als Abgeordnete für Bildung und Soziales in der Duma der Stadt Pereslawl-Salesskij. Wie vielleicht deutlich wurde, gestaltete sich mein Praktikum alles andere als einseitig oder langweilig. Natürlich wäre es gelogen, wenn ich sagen würde, dass mir die ersten Wochen und Eindrücke leicht gefallen sind. Ich bin im Laufe der Zeit auf viele Thematiken bzw. Problematiken gestoßen, die viele offene Fragen entstehen ließen und auf die mir auch keiner eine Antwort geben konnte. Es ist ein gigantischer Unterschied, nur theoretisch zu wissen, dass Russlands Gesundheits- und Sozialsystem sehr verbesserungsbedürftig ist oder es mit eigenen Augen zu sehen und zu erfahren. Teilweise auch dank der tollen Zusammenarbeit und dem Engagement der Deutsch-Russischen Gesellschaft Kraichgau e.V. hat sich innerhalb der letzten Jahre im sozialen Bereich bereits vieles verändert, jedoch wurde schnell deutlich, dass die Soziale Arbeit Russlands insbesondere in einer kleinen Stadt wie Pereslawl-Salesskij noch in den Kinderschuhen steckt. Ich war gespannt, was mich in den kommenden zwei Monaten noch alles erwarten sollte und hoffte darauf eine Einrichtung zu finden, die Interesse daran hat mich für einen längeren Zeitraum als Praktikantin aufzunehmen.

Zweiter Monat: Oktober 2015

Erst während meines zweiten Monats in Pereslawl-Salesskij realisierte ich wirklich, dass ich momentan in Russland lebe und begann die russische Kultur und Sprache zu verinnerlichen und aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ähnlich wie im ersten Monat begleitete ich im Oktober Swetlana auf vielen Veranstaltungen und Terminen. So waren wir beispielsweise auf einer dreitägigen Konferenz  in Wladimir, zum Thema Rehabilitation von schwerkranken Kindern. Organisiert wurde diese Veranstaltung durch die Organisation „Sheredar“. Das Sheredarcamp gehört zu der von Paul Newman gegründeten Wohltätigkeitsorganisation „Serious Fun“  für kranke Kinder. Weltweit wird mit Hilfe von unzähligen Freiwilligen kranken Kinder ermöglicht, wieder ein Stück Kindheit zurück zu bekommen und es besteht eine enge Zusammenarbeit  mit vielen Rehabilitationszentren, sozialen Einrichtungen und Projekten in diesem Handlungsfeld . Im Verlauf des Kongresses wurden soziale Projekte und Organisationen aus ganz Russland und das ungarische Camp „Bator tabor“ vorgestellt. Zudem wurden uns durch den amerikanischen Psychologen Terry die Grundzüge des“ Serious fun“ -Konzepts vorgestellt und das Sheredar-Territorium gezeigt. Die drei Konferenztage haben mir zwar in Bezug auf die konkrete Arbeit mit schwerkranken Kinder vergleichsweise wenig gebracht, aber dennoch habe ich viele interessante Projekte, Konzepte und Menschen kennengelernt. Wenn es mein Terminkalender irgendwie zulässt, werde ich mich als Freiwillige für das Sheredarcamp bewerben.

Nach Absprache mit Swetlana arbeitete ich circa zwei Mal im Wohltätigkeitsfond mit und übersetzte beispielsweise Akten von Familien oder Personen, die im Rahmen der Deutsch-Russischen-Gesellschaft-Kraichgau Unterstützung erhielten, in die deutsche Sprache und versuchte die vorhandenen Informationen zu strukturieren.

Nach Absprache mit der Direktorin des Kindersanatoriums für invalide Waisen aus der Region Pereslawl wurde vereinbart, dass ich nun jeden Tag ab dem Nachmittag am Gruppenalltag teilnehmen werde. Ich war sehr froh über diese Möglichkeit, da es anfangs so schien, dass manche Einrichtungen eher verunsichert darüber waren, mich als Praktikantin aufzunehmen. Dies lässt sich aber damit erklären, dass es für viele Mitarbeiter bzw. Einrichtungsleitungen eine vollkommen neue Situation war, eine Praktikantin aus einem anderen Land zu beschäftigen und daher eine gewisse Unsicherheit mit einherging. Zum Glück änderte diese Auffassung sich jedoch im Kinderheim sehr schnell und ich konnte mich gut in den Gruppenalltag integrieren. Ich war für die erste Woche in der „ Sonnenschein“ -Gruppe eingeteilt, in der die fünf jüngsten Kinder im Alter von 3-6 wohnten: Anton, Alina, Nastja, Sergej und Jaroslawel. Die Erzieherin Lena hatte an meinem ersten Tag Dienst und hat sich darauf vorbereitet, mit den Kindern passend zum Thema Herbst zu basteln, indem wir Blätter bunt anmalten und an einen ausgeschnittenen Birkenstamm klebten. Lena trug Gedichte und Lieder passend zur Jahreszeit vor und gab sich Mühe, den Kindern das Thema anschaulich näher zu bringen. Nastja und Sergej machten mit, jedoch ließ Antons Geduld schnell nach. Der Hilfskraft fiel der Umgang mit Anton sehr schwer. Ihr Verhalten lässt sich mit Unsicherheit, Überforderung, Hektik beschreiben. Im Unterschied zu meinen Wohngruppenerfahrungen essen in diesem Heim die Erzieherinnen leider auch nicht gemeinsam mit den Kindern, was ich für sehr wichtig erachte und meiner Meinung nach unverständlich ist. Für die Kinder ist es ersichtlich schwer, dass sich das Personal ständig ändert und gibt dem Gruppenalltag kaum Struktur. Die Erzieherinnen sind keiner festen Gruppe zugeordnet, sondern rotieren von Gruppe zu Gruppe. Vor allem die zu Bettgehsituation war sehr chaotisch und laut. Abgesehen davon, dass ständig Kinder aus anderen Gruppen zu Besuch kamen und für Ablenkung sorgten und Lena in einem sehr autoritären und lauten Tonfall mit den Kindern schimpfte, fiel es Anton sehr schwer, im Bett liegen zu bleiben und Nastja begann Selbstgespräche zu führen, war unruhig und emotional sehr aufgewühlt. Dank Lena habe ich mich mit Anja, der Sozialarbeiterin des Kinderheims, für Donnertags verabredet, um die sozialpädagogische Arbeit kennenzulernen und sich beispielweise über die Konzeption der Einrichtung austauschen zu können. Das Gespräch mit der Sozialarbeiterin war sehr interessant und aufschlussreich. Anja erklärte mir die Rahmenbedingungen, Aufgabenbereiche und Vorgehensweisen ihrer Arbeit und war sehr daran interessiert, wie die Kinder- und Jugendhilfe bzw. Wohngruppen in Deutschland aufgebaut sind. Auch mit der stellvertretenden Leitung fand ein Reflexionsgespräch statt, innerhalb dessen ich meine ersten Eindrücke, Erfahrungen und Fragen äußern konnte. Die Leitung war zwar stets bemüht, mir meine Fragen zu beantworten und erklärte mir die Heimkonzeption, allerding nahm ich kaum Interesse an einem Erfahrungstaustauch war und spürte hier eine gewisse Grenze der Zusammenarbeit. Somit beschloss ich, meinen Fokus mehr auf die Kinder zu richten und zu versuchen, ihre Ressourcen und Stärken zu fördern.

Weiterhin besuchte ich einmal wöchentlich die Familie Smirnowa, sowie Trofima und Marina Morosowa zu Hause. Die Verfassung von Marina ist sehr abhängig von Trofimas Zustand. Trofim hatte Ende 2013 einen schweren Autounfall und ist seither pflegebedürftig. Es gab Tage, da war seine Mutter Marina nervlich sehr angeschlagen und bedrückt, jedoch gab es auch Tage, an denen sie sehr positiv eingestellt war und uns sehr stolz berichtete, dass Trofim bereits seit mehreren Tagen für circa 30 Minuten auf dem Sofa sitze und selbst seinen Kopf halte. Für Trofim ist das ein großer Fortschritt und beweist seinen starken Willen und Ehrgeiz. Solche Fortschritte geben beiden sehr viel Hoffnung und Kraft, um weiter zu kämpfen.

Auch die Besuche bei der Familie Smirnow bekamen durch unterschiedliche Freizeit- und Bastelangebote Struktur und weckte nicht nur bei den Kindern ein großes Interesse, sich auch abgesehen von meinen Besuchen, gemeinsam an den Tisch zu setzen und zu lesen oder zu kneten. Diese Reaktionen stellen für mich eine enorm positive Entwicklung dar und zeigen, dass die Kindesmutter Olga weiterhin Unterstützung in Form einer Art Sozialpädagogischen Familienhilfe bräuchte, um den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht werden zu können.

 

Dritter Monat: November 2015

Innerhalb des dritten Monats wurde es langsam Winter in Pereslawl-Salesskij und ich arbeitete zum größten Teil selbstständig in Schulen, im Kinderheim und in den Familien.

Es war ein gutes Gefühl, langsam mehr Sicherheit zu bekommen und seine eigene Persönlichkeit und Ideen in die Arbeit mit einbringen zu können. Insbesondere im Kinderheim konnte ich gute Beziehungen zu den Kindern und den Mitarbeitern aufbauen und hatte Freude an der Zusammenarbeit. Im November arbeitete ich in einer Gruppe von Zehn- bis Dreizehnjährigen und verbrachte viel Zeit damit, die Kinder bei Ihren Hausaufgaben zu unterstützen. Auch das Sport- und Freitzeitprogramm kam nicht zu kurz. Regelmäßig nahm ich an den Sport-, Tanz- und Malangeboten der Einrichtung gemeinsam mit den Kindern teil. Da mir jedoch die Kinder aus der anderen Gruppe bereits auch schon ans Herz gewachsen waren, besuchte ich diese natürlich täglich und baute dort hauptsächlich mit den Jungs die längste Holzeisenbahnstrecke der Welt.

 

Mitte November besuchte ich zudem die Universität in Jaroslawl. Nach meinem Referat über das Studium der Sozialen Arbeit fand eine Diskussionsrunde gemeinsam mit den Bachelorstudenten des Studiengangs Soziale Arbeit statt, innerhalb derer wir uns über Unterschiede und Gemeinsamkeiten des Studiums und Berufsbildes des Sozialarbeiters in Deutschland bzw. Russlands austauschten. Ich empfand dieses Treffen als sehr wichtig und interessant, da die zukünftige Professionalisierung der russischen Sozialarbeit im Wesentlichen von den heutigen Studenten, sprich zukünftigen Sozialarbeitern bestimmt und beeinflusst wird.

Ende September fuhr ich gemeinsam mit Swetlana Starostina und Swetlana Wassiljewa auf den Weihnachtsbasar der deutschen Botschaft in Moskau. An unserem dortigen Stand stellten wir den Wohltätigkeitsfond „Sodjestwije“ als Projektpartner der DRGK e.V. vor und lernten viele weitere Menschen kennen, die eine Verbindung zwischen Deutschland und Russland herstellten.

Meine Besuche in der Schule gestalteten sich sehr unterschiedlich. Ich besuchte in verschiedenen Schulen und Klassenstufen den Deutschunterricht und führte oft mit den Kindern gemeinsame Gesprächsrunden zu Themen, die sie ausgewählt hatten. Es war eine tolle Erfahrung zu sehen, wie interessiert und insbesondere bemüht die Schüler waren, in den Dialog zu kommen und ihre Hemmschwelle vor der deutschen Sprache zu überwinden.

 

In der letzten Woche hieß es dann Abschied nehmen. Dieser ist mir alles andere als leicht gefallen. Ich hatte erst gegen Ende des Praktikums das Gefühl , richtig angekommen zu sein und dann hieß es aber schon до свидания /do svidaniya Russland und Hallo Deutschland. Niemals werde ich diese unendlich vielen schönen Momente vergessen. Ich konnte mit einem guten Gefühl nach Hause fliegen, weil ich wusste, dass sich zumindest in dem Ort Pereslawl-Salesskij durch die Unterstützung des Wohltätigkeitsfonds „Sodestwije“  die soziale Arbeit positiv weiter entwickeln wird.

Fazit:

Auch wenn ich mir mein Praktikum teilweise völlig anders vorgestellt hatte und diese Zeit voller Herausforderungen für mich war, war es eine der interessantesten und lehrreichsten Zeiten meines Lebens. Innerhalb dieser drei Monate habe ich mich von einer ganz anderen Seite kennengelernt und festgestellt, welche Dinge für mich wichtig sind und was mich und meine Arbeit als zukünftige Sozialarbeiterin ausmacht. Abgesehen davon, konnte ich mir ein ganz persönliches Bild von Russland machen und habe die Kultur, Menschen und Besonderheiten dieses Landes sehr zu schätzen gelernt.

 Ich bin der Meinung, dass junge Menschen von solchen Auslandserfahrungen nur profitieren können und hoffe, dass sich noch viele weitere Praktikanten über die, durch die Deutsch-Russische Gesellschaft Kraichgau e.V. aufgebaute Brücke trauen und Russland von einer ganz besonderen Art und Weise kennenlernen."

Sandburge